Was ich früher dachte – und wie ich heute arbeite.

Als ich meine erste Coaching-Ausbildung begann, konnte ich die Gesprächsführung von Carl Rogers noch nicht wirklich verstehen.

In der Ausbildung wurde ein Video gezeigt, das als Beispiel für ein besonders vorbildliches Coaching-Gespräch dienen sollte. Carl Rogers war darin einfach nur ruhig, zurückhaltend und empathisch im Kontakt mit seinem Klienten.

Ich erkannte nicht, was daran so besonders sein sollte. Aus meiner Sicht machte er nichts – überhaupt nichts!

Es gab keine Interventionen, keine erkennbare Struktur und keinen Versuch, den Klienten irgendwie aus seinem Problem herauszuführen – für mich war das damals noch völlig unverständlich!

Damals war ich noch stark geprägt von meiner Tätigkeit als Agile Coach bei BMW. Ich war überzeugt: Ein guter Coach hilft dem Klienten, schneller zum Ziel zu kommen – mit einer klaren Struktur, den passenden Tools und ganz konkreten Handlungsempfehlungen. Das erschien mir professionell und kompetent. Alles andere wirkte auf mich – ich sage es ganz offen – wie reine Zeitverschwendung.

Eine Begegnung, die mich beschäftigt hat

Etwa zur selben Zeit empfahl mir eine junge Frau das Hörbuch The Ultimate Coach – ein Porträt über Steve Hardison. Sie war auf eine Weise von ihm beeindruckt, die mich neugierig machte.

Wir hatten uns auf einer Veranstaltung kennengelernt. Im Gespräch erzählte sie mir, dass sie als Kind entführt wurde – eine Erfahrung, die sie bis heute stark belastete. Sie hatte die Hoffnung, in einer einzelnen Sitzung bei Steve Hardison in Arizona von ihrer traumatischen Last befreit zu werden.

Ich wusste damals noch nicht viel über Trauma. Und auch nicht viel über Coaching in den Grenzbereichen zur Therapie. Ich hörte das Hörbuch – und war zunächst fasziniert von den Ritualen, der Präsenz und der Inszenierung von Steve Hardison. Es hatte einen gewissen Zauber, etwas von Bedeutung – aber aus heutiger Sicht nur sehr wenig Substanz.

Erst viel später wurde mir klar, wie problematisch – ja sogar tragisch – das war: eine junge Frau mit schwerem Trauma, auf der Suche nach Erlösung durch eine einzige Session – bei einem Coach ohne therapeutische Ausbildung, dessen Wirkung vor allem in der Inszenierung lag.

Heute sehe ich dieses Muster überall: Auf Instagram preisen täglich selbsternannte Life Coaches ihre teuren 1:1-Breakthrough Sessions oder Soul Alignment Coachings an – und suggerieren, man könne traumatische Prägungen mit einem Mindset-Shift und Deep Talk auflösen oder Clarity über den Life Purpose gewinnen.

Rückblickend erschreckt mich, wie sehr auch ich mich damals von genau so einer Inszenierung habe beeindrucken lassen – wie sie heute bei vielen Life Coaches auf Instagram zu sehen ist – und wie wenig ich damals über die Tiefe und Komplexität von Trauma wusste.

Rückblickend frage ich mich:

Was hätte dieser jungen Frau wirklich geholfen? Hätte eine einmalige Begegnung mit einem charismatischen Coach ihr Trauma heilen können?

Oder hätte sie nicht vielmehr einen guten Therapeuten in erreichbarer Nähe gebraucht – jemanden, bei dem sie sich über einen Zeitraum von sechs Monaten oder länger sicher begleitet und tragfähig aufgehoben gefühlt hätte?

Ich glaube: Letzteres.

Mein eigener Weg

Diese Fragen haben mich nicht mehr losgelassen. Und sie haben meinen Weg geprägt. Ich wollte verstehen, wie echte Veränderung funktioniert – jenseits von Inszenierung und schnellen Scheinlösungen.

Zuerst absolvierte ich eine Ausbildung zum systemischen psychologischen Coach. Das hat mir eine solide Grundlage gegeben – aber mir fehlte der Bezug zu Trauma, zu Körperprozessen, zu echter Integration.

Es folgte eine intensive Ausbildung in Traumatherapie bei Nadja Lasko. Ich begann zu verstehen, wie tief Menschen durch frühe Prägungen in ihrem späteren Erleben beeinflusst werden – oft, ohne es bewusst zu merken. Und ich lernte, wie empathisch und zugleich klar eine Begleitung sein muss, damit sich etwas in Bewegung setzen kann.

In zahlreichen mehrtägigen Workshops bei Thomas Litzenburger, einem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten, habe ich über 200 Stunden lang Selbsterfahrung und Übungspraxis in systemischer Aufstellungsarbeit gemacht – und gelernt, wie sich therapeutische Prozesse verantwortungsvoll gestalten lassen – nicht durch Techniken oder standardisierte Abläufe, sondern durch Beziehung und Präsenz.

Die Ausbildung zum Systemischen Gesundheitscoach, mit insgesamt 820 Unterrichtseinheiten über mehrere Monate hinweg, vermittelte mir weit mehr als nur Stressbewältigung und Prävention. Sie hat mir ein tiefes Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen Körper, Psyche und sozialem Umfeld vermittelt.

Mir wurde deutlich, wie chronischer Stress und emotionale Belastungen langfristig das Nervensystem und die Gesundheit beeinflussen – und wie man Menschen dabei unterstützt, ihre Resilienz, Selbstwahrnehmung und Selbstverantwortung zu stärken.

Zu den inhaltlichen Schwerpunkten gehörten die aktuellen Erkenntnisse über psychosomatische Zusammenhänge, emotionale Bewusstheit und die Bedeutung der inneren Haltung im Heilungsprozess – ergänzt durch Themen wie Psychoneuroimmunologie, Gewaltfreie Kommunikation, systemisches Gesundheitscoaching in Organisationen sowie Change Management und Organisationsentwicklung.

Ich habe mich über ein Jahr lang auf die Prüfung zum Heilpraktiker für Psychotherapie vorbereitet – und sie nicht beim ersten Mal bestanden. Heute sehe ich darin keinen Makel, sondern ein Stück meines Weges: dranbleiben, hinterfragen, weitergehen. Am Ende war es nicht nur eine fachliche Qualifikation, sondern mehr Zeit für Selbsterfahrung und meine tiefe persönliche Reifung.

Thomas Litzenburger hat mir einmal empfohlen, Hilflose Helfer von Wolfgang Schmidbauer dreimal hintereinander zu lesen. Das war kein freundlicher Hinweis – es war eine wichtige Aufgabe, die ich zu erfüllen hatte. Ich begann zu verstehen, wie leicht ich – aus dem Wunsch zu helfen – selbst in destruktive Dynamiken geraten kann. Wie schnell ich mich mit dem Leid des anderen identifizierte, anstatt ihn wirklich zu sehen.

Diese Auseinandersetzung hat mich mehr geprägt als jedes Tool oder jede Technik. Sie hat mich davor bewahrt, mich als Coach in die Instagram-Self-Help-Bubble zu verirren. Ich arbeite aus einer anderen Haltung heraus: mit Selbsterfahrung, echter Beziehungserfahrung, und therapeutischer Verantwortung.

Was ich heute anders sehe

Heute weiß ich: Helfen bedeutet, aufmerksam hin zu hören.
Ohne zu werten, ohne zu deuten, ohne dem anderen das Erleben aus der Hand zu nehmen. Sondern da zu sein – klar, empathisch, und bereit, auch das auszuhalten, was sich noch nicht verändern lässt.

Paraphrasieren, Verbalisieren – das erschien mir früher wie ein passives, endloses Mitlaufen im Problemkarussell. Heute erkenne ich darin die Kunst, jemanden in seinem innersten Erleben zu erreichen, ohne ihn zu überfordern oder zu lenken.

Ich glaube nicht mehr an die eine Sitzung. Ich glaube an die Begegnung.
Und an den Prozess, der daraus entstehen kann. Ich glaube auch nicht an Coaching-Versprechen, die sich wie Werbeslogans anhören.

Transformation geschieht nicht durch Rhetorik, sondern durch Beziehung.